Johannesburg – Lektionen in Ungleichheit

Lektionen (in Ernest Cole-Ausstellung).

Lektionen (in Ernest Cole-Ausstellung).

Südafrika ist eine Gesellschaft der Extreme – Arm und Reich prallen hier so stark auf einander wie in wenigen anderen Ländern. Dies gilt für die gesamte Region – gemessen am Gini-Koeffizient sind Namibia, Südafrika, Lesotho und Botswana die ungleichsten Länder der Welt. Was funktioniert so eine Gesellschaft?

Eine historische Last

Die Ungleichheit in Südafrika zeichnet sich durch zwei Besonderheiten aus. Zum einen entspringt sie der Apartheid, einem System, in dem die Förderung und Zementierung von Ungleichheit zentral war. Dies zog sich durch alle Politikfelder – Siedlungspolitik, Bildungspolitik, Familienpolitik waren systematisch darauf angelegt, die Ungleichheit zwischen den als „European“, „Black“, „Coloured“ oder „Indian“ klassifizierten zu zementieren. Zum anderen und in der Konsequenz richtet sich diese Ungleichheit, bis heute, stark an Rassengrenzen aus.

Es ist schwer, dieser Ungleichheit zu entkommen. In meinem Flieger Zürich-Johannesburg sassen acht Schwarze – von etwa 200 Reisenden. Ich habe noch keinen weissen Kellner gesehen. In meinem Apartment-Gebäude reinigen Schwarze die Zimmer, öffnen die Türen, bedienen den Aufzug. Im Klavier-Konzert gestern abend, in einem Viertel, auf desses Strassen man weder tags- noch nachtsüber Weisse sieht, waren zwei Farbige. Im Innenhof vom durchaus beeindruckenden Arts on Main flaniert am Sonntagnachmittag ein fast exklusiv weisses Publikum. In den öffentlichen Bussen, in denen ich zur Arbeit pendel, habe ich persönlich noch keine Weissen gesehen.

Eine persönliche Verantwortung?

Es fällt schwer, eine persönliche Verantwortung für diesen offensichtlichen Skandel festzumachen. Manche Menschen wachsen halt in reichen Familien mit hohem Bildungsstand auf – diese sind halt, im Normalfall, weiss. Und natürlich gibt es eine Menge Ausnahmen, berufliche, akademische und künstlerische Aufsteiger, die sich dem enggespannten Netz entziehen. Trotzdem – die alle Aspekte des Lebens durchziehende Trennung wirkt unheimlich.

Analog zur Walser-Debatte gibt es auch hier eine „es reicht“-Stimmung. Ein Fotoschüler rebellierte im Museum – gegenüber seiner indisch-stämmigen Lehrerin – gegen die ständige „Politisierung“ der Kunst – „warum muss ich mir sowas wie die Ernest Cole Ausstellung ansehen?“ Diese Stimmung mag auch auf die durchwachsene Bilanz der „Black Empower Empowerment“-Politik zurückgehen.

Globale Ungleichheit im Brennglas?

Woher kommt mein persönliches Unbehagen aufgrunde der spürbaren Ungleichheit im Land? Die südafrikanische Oberschicht lebt nicht wirklich dekadenter als der Durchschnittseuropäer – und auch wir profitieren, über billige Rohstoff- und Waren-Importe, von der global Ungleichheit. Nur ist diese versteckt und indirekt, überdeckt von Handelsabkommen, Warenströmen, nationalen Grenzen, Zeitzonenunterschieden und Sprachbarrieren. All dies gibt es hier nicht, oder nur vermindert – das Township Alexandra liegt direkt neben dem Luxustempel Sandton – auch wenn man es aus dem Auto nicht sieht, wenn man die „richtige“ Abfahrt nimmt.

Wer längerfristig hier wohnen möchte, muss sich wohl, zumindest auf der persönlichen Ebene, mit der Ungleichheit erstmal abfinden. Tatsächlicher Wandel braucht lange – zu gross sind die Unterschiede in Bildung, Habitus, Einstellung. Umso mehr sind der Staat und der Einzelne gefordert, am Abbau der Ungleichheiten zu arbeiten.

Wenn dies schon in einem Land, Südafrika, so schwierig ist, welche Chance haben wir dann auf der globalen Ebene? Es verbleibt ein leicht ratloser,

Martin

5 Antworten zu “Johannesburg – Lektionen in Ungleichheit

  1. Martin,

    Gutes Blog! Aber nicht das ganse Ungleichheits Bild. Melville hat auch weise Kelner, in Pretoria ist die Helfte der Parkwachter weiss. Bei uns ins Hauserkomplex ist sicherlich die Helfte der Bewohner Schwarz. Die Ungleichheit verändert schön. Gab’s 1 Weisser in Tembisa township in 1996 (auf 500.000 Einwohner), da gab es 122 Weissen in 2001 (auf 800.000 Einwohner).

    Die Ungleichheit kommt auch anders. Für einige Monaten habe ich die Bilder gesehen wie die Schwarzen Freiwilligen Brot und andere Lebensmittel ausgeteilt haben an weisser Armen, hier in Johannesburg, Coronation Park. Und trink mal eine Tasse Kaffe mit mir in Morningside Shopping Mall, mal schauen wieviele superautos man da sieht mit jungere und altere Schwarzen als Besitzer.

    In kurzem: Ungleichheit ist sicherlich da, aber nicht nur schwarz-weiss, sondern reich-und arm. Ich habe nach 4 Jahren hier, wobei ich vorallem die vergangene 12 Monaten fast täglich in Tembisa township war, mich nicht unheimlich gefühlt über die Ungleichheit. Die Ökonomie in townships wachst auch, es gibt sogar Leute die wieder zurück umziehen aus Sandton zum Township.

    Süd-Afrika begreiffen ist sehr, sehr schwer… Nach 4 Jahre und mehrere Historischen Bücher, viele Zeitungsartikel, jeder Tag nur Talkradio 702, 100-ten Gespräche und noch immer versteh ich vielleicht 5%.

    Wir sprechen uns,

    Reinoud

    • Hi Reinoud, Ja, es gibt „counterfactuals“, und die habe ich eventuell ausgeblendet. So sassen von den 8 Schwarzem im Flugzeug 4 in der Business Class. Und Freitag war ich auf einer Party unter der Nelson Mandela Bridge, auf der CBD-Seite – organisiert im Rahmen des Architekturkongresses haben dort weisse Studenten gekellnert, während das Publik schwarz (und extrem schick und smart) war. Post habe ich geschrieben, nachdem ich im Arts on Main war – und dort findet sich ein fast exklusiv weisse „Schickeria“ (art-buying, not art-making crowd, wie mir gesagt wurde).

      Und, last but not least, sehen wir uns natürlich alle irgendwann im kitcheners 😉

  2. Hi Martin,

    interessant, deine ersten Eindruecke zu lesen. Ich wuerd zu gern auch einmal nach Suedafrika, hab schon viel davon gehoert und es muss echt krass zu gehen.

    Abgesehen vom Status Quo; denkst du die Lage der Schwarzen hat sich verbessert?

    • Jo (Schwarzer?), würd dir gefallen hier, insgesamt eine lustig-dynamische Stadt. Zu deiner Frage: Schwierig, war ja damals nicht hier. Und das Apartheidsystem ist ja an sich, ohne auf die Auswirkungen auf die Lebensqualität zu achten, menschenverachtend. Es gibt, siehe den Kommentar von Reinould, durchaus Fortschritte (Bildung, ökonomische Teilhabe). Und die Lage ist ja auch für beide Seiten unangenehm – man sieht hier sehr wenige Weisse auf der Strasse, die meisten verstecken sich hinter ihren Mauern im Norden…

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